Auch an den beruflichen Schulen klafft
bald eine Personallücke. Wo sehen Sie die
Ursachen?
Die meisten jungen Menschen mit Interesse
für Pädagogik wissen nicht, dass es ein Lehramtsstudium
für berufliche Schulen gibt. Viele
streben in die allgemein bildenden Lehrämter,
auch wenn hier per Numerus Clausus ein gewisser
Notendurchschnitt erforderlich ist. Für das
Lehramtsstudium Berufspädagogik gibt es dagegen
keine Zugangsbeschränkungen. Aus meiner
Sicht ist die Lehrertätigkeit an der Berufsschule
durch die Kontakte zur Arbeitswelt wesentlich
abwechslungsreicher.
Sie bezeichnen das Studium auf Lehramt
an Beruflichen Schulen als „Königsklasse“.
Warum?
Zu den Studienvoraussetzungen gehören idealerweise
Abitur und Berufsausbildung. Mit
Bachelor- und Masterstudium
sowie anschließendem
1 1/2-jährigem Referendariat
entspricht allein
der Karrierezeitraum dem
eines Mediziners mit Facharztqualifikation.
Nur das
Image ist ein komplett anderes
– völlig zu Unrecht. Berufsschullehrkräfte
sichern unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit,
weil sie berufliche Fachkräfte ausbilden. Sie
unterrichten in verschiedenen Schulformen – von
der Ausbildungsvorbereitung bis ins berufliche
Gymnasium und sind obendrein Spezialisten
auf ihrem Gebiet. Prozesse und Technik in den
Betrieben entwickeln sich permanent weiter,
sodass die Dynamik des Unterrichtsstoffes sehr
hoch ist. Dies erfordert ständig Anpassungen bei
Ausbildungsordnungen und Lehrplänen. Da gibt
es immer Neues und man schläft nicht ein im Job.
Wer Berufspädagogik studieren will, benötigt
zwingend beides: Abitur und Ausbildung?
Das wäre am besten, ist aber nicht immer der Fall.
Die Ausbildungswege unserer Studierenden sind
sehr unterschiedlich. Ohne Abitur kommen sie
durch eine Hochschulzugangsprüfung zu uns.
Wer Abitur hat, aber keine Berufsausbildung mitbringt,
holt die Erfahrung durch Betriebspraktika
von mindestens 12 Monaten nach. Viel wichtiger
ist, dass die Studenten Lust auf Bandbreite haben.
Wir brauchen Lehrkräfte, die motivieren können
und keine Angst vor Autoritätsverlust haben. Deshalb
ermutigen wir die Studierenden, Stellung zu
beziehen, gesellschaftliche Werte zu vermitteln
und zugleich nahbar zu sein.
Sie gehen in der Berufspädagogik ungewohnte
Wege, plädieren für freie und kritische Gestaltungsfähigkeit.
Was bedeutet das konkret?
Früher hieß es „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“.
Heute wollen die Unternehmen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter, die mitdenken, und auch die
Gesellschaft braucht soziale Mitglieder. Wenn wir
die Auszubildenden zu mehr Selbstständigkeit
und eigenem Denken anregen wollen, bedarf es
einer anderen Pädagogik. Wir beschäftigen uns
daher z. B. mit den Fragen: Was macht Unterricht
auf Augenhöhe aus? Wie erfolgt aktivierender,
gesunder Unterricht? Die
Studierenden werden angeregt,
ihre Rolle und Aufgaben
auch in Hinblick auf
die Beziehungen zu den
Ausbildungsbetrieben der
Schülerinnen und Schüler
zu hinterfragen. Darum
arbeiten wir mit erlebnisorientierten Methoden,
bauen Skulpturen aus unseren Körpern oder erproben
technische Lösungen miteinander. Erst
was wir selbst erfahren haben, können wir auch
künftig umsetzen. Das ist die Stärke der beruflichen
Bildung.
Das Institut ist an dem von der EU geförderten
ERASMUS-Programm „Strategische Partnerschaften
in der Berufsbildung“ beteiligt. Was ist
das Ziel?
Gemeinsam analysieren wir die Herausforderungen
der Berufsschullehrkräfte in den Partnerländern
Finnland, Schweden, Norwegen, Spanien
und der Schweiz und tauschen uns über ‚Good
practice‘-Beispiele aus. Es ist ja kein Geheimnis,
dass insbesondere die skandinavischen Länder
bei der Digitalisierung weiter sind als wir. Die
Schweden haben z. B. eine App für Betriebsvideos
entwickelt, mit der Aufgaben und Werkstücke in
der praktischen Ausbildung dokumentiert werden.